Zazen-Shorties

Herbst
Gerade können wir den Herbst erleben, manchmal grau und trist, manchmal leuchtend und wunderschön. Die Blumen scheinen keine Not damit zu haben, dass ihre Blüten abfallen, die Bäume lassen es geschehen, dass ihre Blätter durch die Luft tanzen, geben sich ganz diesen unaufhörlichen Veränderungen hin. Für uns Menschen ist es manchmal nicht so einfach, unsere Blüten loszulassen und uns dem immerwährenden Wandel anzuvertrauen.

Und dazu ist mir eine Geschichte begegnet, die Buddha einst  seinen Mönchen erzählt hat: Ein Mann steht am Ufer eines gefährlichen Flusses, und er möchte auf die andere Seite, ans andere Ufer. Aber er hat kein Boot. Daher sammelt er Gras, Zweige und Holz und bindet sie zusammen und baut sich daraus ein Floß. Mit viel Mühen und einigen Gefahren, die seine Ausdauer und sein Können und Geschick herausfordern, kommt er sicher am anderen Ufer an. Und dort legt er sein Floß aber nicht ab, sondern er denkt: diesem Floß habe ich so viel zu verdanken, es ist mir so wichtig. Ich will es mit mir nehmen, dass ich es immer bei mir habe. Und so zieht er es auf seinem weiteren Weg durch den Wald und die Berge mühsam hinter sich her. – Und Buddha fragt daraufhin seine Zuhörer: Was meint ihr, handelt dieser Mann klug?
(aus dem Alagaddupama-Sutta „Die Lehrrede vom Gleichnis der Wasserschlange“, Majjhima Nikāya 22)
(© 2025 Stefanie Brongs)

Form ist wirklich Leere, Leere wirklich Form.
(Herzsutra)

Die Weisheit des Herzsutras eröffnet sich uns nicht über intellektuelles Verstehen, sondern es kann geschehen über Rezitation, über Wiederholung, über Hingabe, so dass die Worte an unser Herz klopfen und das Herz aufgeht.
Das Herz geht auf, und es vergisst seine gewohnten Wahrnehmungen und Beschränkungen, es wird weit, so grenzenlos weit, dass es kein innerhalb oder außerhalb mehr gibt.
Es vergisst auch seine Meinungen über die Menschen, über gut und schlecht, so dass es nichts und niemanden mehr zurückweist, denn da ist kein Unterschied mehr zwischen seinem Herzrhythmus und dem Rhythmus allen Lebens.  
Und es vergisst sein Wissen darüber wie die Welt tickt, wer bestimmt, was geht und was nicht geht, und ist so offen und natürlich wie das Leben selbst.
Jeder Herzschlag, jeder Atemzug, jeder Schritt ist erstmalig und einmalig, mit all seinen Bedingtheiten und all seinen Möglichkeiten, alles ist von Grund auf ohne Anhaftung.
Jeder Augenblick ist neu geborenes Leben.
(© 2025 Stefanie Brongs)

Spricht man von dieser Sache, so ist es wie ein Boot mit einer langen Stange gegen den Strom zu staken:
Ein Schlag vorwärts, zehn Schläge zurück.
Zehn Schläge vorwärts, hundert zurück.
Je mehr man stakt, desto weiter treibt man zurück.
Man fällt zurück, immer weiter zurück – bis hinab auf den Grund des großen Ozeans.

Dann dreht man den Bug des Bootes und ist fest entschlossen, wieder nach oben zu staken, hin zu JENEM.
Wer solche Entschlossenheit und Standhaftigkeit besitzt, ist nicht weit vom Heimkehren.
Es ist wie beim Besteigen eines Berges: jeder muss seine eigene Anstrengung machen. (Goaufeng Yuanmiao)

Von  Goaufeng Yuanmiao (1238–1295) wird gesagt, dass er schon als Kind gerne meditierte und aber oft sehr schläfrig dabei war und tief einschlief. Deshalb ging er oft an den Rand einer steilen Klippe und meditierte dort. Und das hielt ihn wach, die Angst, da hinabzustürzen. Und das zeigt seine enorme Entschlossenheit.
Gerne lass ich mich berühren von Texten, die verdeutlichen, dass man sich nicht anstrengen muss im Zen, dass es nichts zu erreichen gibt, dass das einfache Dasein reicht. Aber so einfach ist es mit dem einfachen Dasein ja oftmals nicht…
Wenn man auf die eigene Übung schaut, wenn man auf das Leben schaut, da passt es ja manchmal schon sehr: ein Ruderschlag vorwärts, zehn zurück. Je mehr man sich anstrengt, desto weiter treibt man zurück. Zehn Schritte vorwärts, 100 zurück…
Und dann, sagt er, fällt man hinab bis auf den Grund des großen Ozeans. Dorthin, wo wir glauben, dass nichts mehr vorwärtsgeht. Keine Bewegung – Stille…
 Und dann?
Dann, so sagt Yuanmiao, dann dreht man den Bug des Bootes und ist fest entschlossen, wieder nach oben zu rudern, hin zu Jenem. Das ist diese Kraft, die uns leitet, die uns führt. Diese Entschlossenheit.
In jedem Moment sich immer wieder neu auszurichten auf Jenes. Denn in diesem Jenen gibt es kein Vorwärts und kein Rückwärts. Sondern es ist immer nur dieser eine Schlag. Dieser eine Moment.
Jeder muss seine eigene Anstrengung machen, sagt Yuanmiao. Da kommen wir nicht drumherum. Egal was ist, das Leben anzunehmen, ob es vorwärts geht oder rückwärts, hoch oder runter, und den nächsten unausweichlichen Schritt zu tun.
(© 2025 Stefanie Brongs)

Nun ist die Frühlingslandschaft fertig.
Wolkenverschleierter Mond
weißschimmernde Kirschblüten
(Bassho)

Gerade können wir den Frühling erleben, wie alles von Tag zu Tag mehr aufblüht und das geschieht ganz ohne unser Zutun. Wir können da nichts beschleunigen oder verhindern. Und wenn wir auf solch eine Frühlingslandschaft schauen, das ist manchmal unfassbar schön… In dieser Haltung üben wir auch Zazen. Wir beobachten, wie der Atem, die Gedanken, die Gefühle, die Empfindungen aufblühen und wieder vergehen, auch das geschieht ganz ohne unser Zutun. Alles darf sein, wie es gerade ist, nichts muss anders sein.
Und in diesem Loslassen ist auf einmal alles an seinem Platz.
Nun ist die Frühlingslandschaft fertig.
Wolkenverschleierter Mond –
weißschimmernde Kirschblüten
(© 2025 Stefanie Brongs)

Hier ist das ungekünstelte Ich, dein Ur-Angesicht.
Hier ist die Landschaft deiner Geburt, unverhüllt und schön. (Yüan-Wu)

Die Essenz des Herz-Sutras ist das Erleben, dass Form wirklich Leere und Leere wirklich Form ist. Es geht darum zu erkennen, dass es nur die Wolkenziegel unserer Gedanken, unserer Beurteilungen und Interpretationen sind, mit denen wir Luftschlösser bauen und denken, das sei die wahre Welt. Und das ist so eine starke Übung für den Alltag. Zu erleben, dass wir gar nichts Besonderes leisten müssen, dass nichts Besonderes dazukommt, sondern dass es darum geht, unsere Konstrukte von der Welt loszulassen. Dass es darum geht zu üben, ganz in der Präsenz zu sein und in jedem Augenblick in jeder Form zu erleben, dass das Leben leer ist, dass das Leben ohne unsere Benennungen und Beurteilungen immer genau hier und jetzt bereits alles und vollkommen ist, ganz genau so wie es ist.  
(© 2024 Stefanie Brongs)

In der Tat, es ist eine große Schande für den menschlichen Geist, dass er schon so lange an seinem Kleid aus Worten herumnäht und hat doch bis zum heutigen Tage ein gut geschnittenes Gewand. … Wenn ihr könnt, Mönche, guckt durch die Risse und Löcher der geflickten Hülle und erzählt darüber, was alles diese rätselhafte Decke, die Sprache, von der Welt nicht sehen lässt.  (Linji, Shulazi)

Zen-Meister Linji drückt so treffend aus, dass Worte, Begriffe, niemals die Wirklichkeit erfassen können. In unseren Worten sind wir oft weit, doch das ist, wie Linji es sagt, ein Kleid, an dem wir bis heute herumnähen und das doch nie richtig gut geschnitten ist. Denn Worte sind immer nur ein Abbild, ein Bild von der Wirklichkeit, und können die Wahrheit nie vermitteln. Und so sagt Linji: Wenn ihr könnt, guckt durch die Löcher der geflickten Hülle und erzählt darüber, was alles diese rätselhafte Decke, die Sprache, von der Welt nicht sehen lässt. – Wenn wir nicht an den Worten und Begriffen festhalten, sondern ganz in das Sosein des Augenblicks hineinfallen, dann fallen wir quasi durch die Löcher der geflickten Hülle hinein in die Wirklichkeit. Die eine Wirklichkeit, die wir niemals beschreiben, jedoch in jedem Augenblick vollkommen erleben können.
(© 2024 Stefanie Brongs)

Wenn du die Wahrheit nicht da findest, wo du gerade bist, wo sonst willst du sie finden?
(Dogen Zenji)

„Und so gibt es weder erkennen noch erreichen, weil es nichts zu erreichen gibt“, heißt es im Herz-Sutra. Das ist das Besondere im Zen. Es gibt nichts zu erreichen. Das klingt für manch einen vielleicht wenig interessant oder auch frustrierend, dass es gar nichts anderes geben soll als den altbekannten Alltag, keine bessere Welt, die sich auftut, wenn man nur richtig meditiert und übt. – Dabei ist es eine ungemeine Erleichterung! Wir brauchen nichts anderes zu verwirklichen als das, was wir eh schon sind. Brauchen nichts anderes zu leben als das, was jetzt gerade unser Leben ist. Wenn wir aufhören, uns Vorstellungen darüber zu machen, wie unser Leben oder wie wir besser sein sollten, dann können wir jeden Augenblick unseres Lebens als vollkommen erfahren, denn es gibt nichts anderes. Dann erleben wir, dass und wie sich das Leben lebt, wenn wir einfach nur genau das sind, was wir sind. Genau jetzt und genau hier. Das ist alles. Es gibt nichts anderes. Ist das nicht wunderbar?
(© 2024 Stefanie Brongs)

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